Der große Ausverkauf – Punk und Kommerz

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››Du sagst, Punk ist politisch unbequem
Du sagst, Punk ist mit deinem Geist gegen das System
Du sagst, Punk ist Existentialismus pur
Verneinung von Werten und Struktur

Ich sag’ dir: Mach dein Ding, steh dazu
Heul nicht rum, wenn andere lachen
Mach dein Ding, steh dazu
Heul nicht rum, wenn andere lachen
So wie ich‹‹ (Die Ärzte. 1998)

Soziologisch und ökonomisch betrachtet ist Punk im Kommerz angekommen, wenn die Musiker damit richtig viel Geld verdienen und Stadien füllen. Doch wie gelangen Bands zu einem solchen Erfolg? Was verändert sich musikalisch? Eine Band die konsequent beim 3-Akkorde-Prinzip bleibt, wird wohl nie diese Stufe erreichen, oder etwa doch? Mit dieser Fragestellung setzen wir uns im Folgenden auseinander. Hat sich Punk wirklich verkauft? Oder hat sich Punk einfach verändert? Ist er vielleicht sogar ein Stück in die Mitte der Gesellschaft gerückt und sich dabei doch im tiefsten Herzen treu geblieben?

››Eine Ideologie des Punk, wenn eine solche jemals geschlossen existiert haben mag, läßt sich durch drei Ansatzpunkte bestimmen: Erstens durch ein unbestimmtes Aufbegehren gegen die alltägliche und kulturelle Ordnung der Welt der Erwachsenen, zweitens durch die Kritik an der Kommerzialität einer konservativen und konventionellen Musikindustrie, die als eine symbolische Form der Kritik an dem kapitalistischen Wirtschaftssystem gelesen werden kann, und drittens durch ein generelles Gefühl der Frustration und Machtlosigkeit gegenüber allen bestehenden makrosozialen Strukturen. Ähnlich wie den Dadaisten ging es den Punks weniger um einen unmittelbaren, sozialpolitischen Wandel, sondern vielmehr darum, daß die bestehenden Verhältnisse überhaupt in Bewegung gerieten.‹‹ (Müller-Bachmann. 2002: S. 72)

 

Fangen wir ganz am Anfang an, um einen klaren Überblick zu erhalten. Punk entstand in den 1970er Jahren. Der Begriff Punk wurde damals vor allem abwertend verwendet für zum Beispiel Prostitution oder Wertlosigkeit. Erstmals mit einer bestimmten Musik in Verbindung gebracht wurde Punk erst 1976 mit den Sex Pistols (Behr. 2007: S. 57). Auch wenn es davor schon den Musikstil gab, wie zum Beispiel bei den Bands The Stooges, The Velvet Underground oder The Ramones, wurde er nicht als dieses betitelt (vgl. Meiner, Seeliger. 2013: S. 15). Doch Punk ist nicht nur Musik, sondern auch Kleidungs- und Lebensstil. Mit den Sex Pistols geriet Punk in die Medien und erhielt auch durch einschlägige, öffentliche Auftritte ein recht negatives Bild in der Gesellschaft. ››Die Jugendkultur des Punks hatte sich entwickelt. Punk heißt übersetzt soviel wie Müll und dieses Erscheinungsbild hatten sie auch für die übrige Gesellschaft. ››Anarchie‹‹ lautete der Slogan der Punks. ››Sie stellen die Gesellschaft infrage und forderten Unabhängigkeit von gesellschaftlichen Institutionen und Autoritäten. ‹‹ ‹‹ (Behr. 2007: S. 58) Punk ist dagegen. Punk zweifelt an. Und Punk ist laut und somit non-konform. Punk lässt sich von niemandem was sagen und geht seinen eigenen Weg. Daher ist es auch schwierig einen Maßstab anzulegen, was nun wirklich Punk ist und was nicht. Denn das entscheidet jeder selbst für sich. ››Punk ist nicht, Punk wird angesehen als.‹‹(Meinert, Seeliger. 2013: S. 10)

Doch die Sex Pistols lösten sich bereits 1978 wieder auf. Der Sänger Johnny Rotten verließ die Bühne bei seinem letzten Konzert mit den Sex Pistols, während einer Amerika-Tour, mit den Worten: ››ever got the feeling you’ve been cheated? ‹‹  (Meinert, Seeliger. 2013: S. 25). War damit dann auch der Punk gestorben? Auch wenn es bereits zur damaligen Zeit den Ausspruch ››Punks dead‹‹ gab, kamen immer wieder Bands zum Vorschein, die sich mit dem Label Punk betitelten. ››Punk war aber im Gegensatz zum allgemeinen Glauben noch nicht ganz verschwunden und feierte 1980 eine Auferstehung. Die Zahl der Punks und der Punkbands vermehrte sich zunehmend. Es entstanden z. B. die Dead Kennedys oder The Exploited, die eine große Zahl an Anhängern mit sich zogen. ‹‹ (Behr, 2007: S.58)

Macht man dann einen Schwenk rüber nach Deutschland, trifft man Mitte der 80er auf ein ganz neues Phänomen im Punk, dessen größte Vertreter die Ärzte sind – der Funpunk! Nun wird so mancher sagen: ››Ist das noch Punkrock? ‹‹ – Ja! Denn sie sind ganz klar gegen etwas. Sowohl gegen damals aktuelle politische oder gesellschaftliche Umstände aber auch gegen die Engstirnigkeit der Punkbewegung in Deutschland. Und daher machten sie ihr eigenes Ding. Wie sehr die Ärzte rebellierten sieht man daran, dass bereits zwischen 1986 und 1987 gleich drei Musikstücke von ihnen auf dem Index für jugendgefährdende Schriften landeten (››Geschwisterliebe‹‹, ››Claudia‹‹, ››Schlaflied‹‹). Aus heutiger Sicht mögen diese Songs recht ››normal‹‹ erscheinen, doch damals waren sie einfach skandalös. (vgl. Meinert, Seeliger. 2013: S. 36). Zeitgleich stürmten die Toten Hosen unter dem Pseudonym die Roten Rosen mit Punk-Covern von deutschen Schlagern die Charts und sorgten 1983 für ihren ersten Skandal durch ihr Video zur Single ››Eisgekühlter Bommerlunder‹‹. Dieses wurde in einer Kirche gedreht, welche laut des zuständigen Bischofes anschließend neu geweiht werden musste (Meinert, Seeliger. 2013: S. 34). Auch die Goldenen Zitronen sorgten für Aufruhr mit ihrem Song ››Am Tag als Thomas Anders starb‹‹. Letztere lehnten aber dann auch die Zusammenarbeit mit der Musikindustrie ab, um nicht Kommerz zu werden (Meinert, Seeliger. 2013: S. 37). Diese Funpunk-Welle hielt dann bis in die 90er Jahre an. Während der Zeit als die Ärzte aufgelöst waren, füllten die Abstürzenden Brieftauben diese Lücke. 1990 waren sie insgesamt 7 Mal in der Bravo und einmal davon sogar auf deren Titelseite (Meinert, Seeliger. 2013: S. 37). Zudem erfuhr Punk in Deutschland einen Aufschwung mit all den ››neuen‹‹, ostdeutschen Bands nach dem Mauerfall. Doch dieses geschichtliche Ereignis hatte nicht nur positive Folgen. Durch immer mehr Fremdenfeindlichkeit wurde auch die Punkszene immer radikaler, weil sie es sein mussten um dagegen zu halten. (vgl. Meinert, Seeliger. 2013: S. 38).

Währenddessen kamen auch in Amerika wieder viele neue Punk Bands zum Vorschein. Auf einmal stürmten Green Day und The Offspring die Charts. ››Pretty Fly for a white guy‹‹ von The Offspring, erschienen 1998, war in Deutschland  Platz 2 und erreichte Gold. In Großbritannien schaffte der Song es auf Platz 1 und erreichte Platin. Hier taucht dann auch erstmals der Vorwurf des Kommerzes groß auf. ››Die Bands Green Day und Offspring hatten ihre jeweiligen Hit-Alben […] Einerseits wurde dies von der eigentlichen Szene mehrheitlich als ››Ausverkauf‹‹ gescholten, andererseits kamen durch diesen ››Erstkontakt‹‹ mit Punk wieder viele junge Menschen in die [deutsche] Szene und belebten diese. ‹‹ (Meinert, Seeliger. 2013: S. 39).  Diese in den 90er Jahren entstehende Welle wird später als Pop-Punk bezeichnet und schafft es in regelmäßigen Abständen immer und immer wieder zum Vorschein zu kommen. Ab Mitte der 90er gab es dann auch immer mehr Punk-Festivals, wie das Force Attack ab 1997 oder das Punk im Pott Indoor Festival ab 1999.

Anfang der 2000er kam bereits der zweite Pop-Punk Boom mit Bands wie Good Charlotte und Blink-182 und nicht zu vergessen: Avril Lavigne. Viele dieser Bands erfreuen sich bis heute einer treuen Fangemeinde, die sofort zur Stelle ist wenn ein neuer Track erscheint, auch wenn es zuvor viele Jahre nichts auf die Ohren gab. So haben The Offspring zum Beispiel im April 2021 mit ››Let The Bad Times Roll‹‹ ihr erstes neues Album seit 10 Jahren herausgebracht und stiegen damit direkt in die Charts ein. In Deutschland erreichten sie Platz 5, und in den USA landeten sie auf Platz 27. Und dies ist kein Einzelfall, gleiches ist bei Blink-182 und Avril Lavigne zu beobachten. So landete ››Bite Me‹‹ von Avril Lavigne, welches am 10. November 2021 veröffentlicht wurde, direkt auf Platz 18 der Single Trending Charts. Gerade wenn man die aktuell erfolgreichen Songs betrachtet, fällt einem leicht ins Auge, dass Travis Barker (Schlagzeuger von Blink-182) bei vielen Songs seine Finger mit im Spiel hat und so scheinbar eine ganz neue Generation von Punk beeinflusst. Der gerade kommende Boom von Punk nennt sich Nupunk. In den letzten Jahrzehnten hat sich Punk in die verschiedensten Richtungen entwickelt und es gibt eine Menge Subgenres wie zum Beispiel: Ska-Punk, Skate-Punk oder Horror-Punk, um nur ein paar Wenige zu nennen.

Im heutigen, aktuellen Diskurs über Punk kann man nur schwer dem Vorwurf des Kommerzes aus dem Wege gehen. Damit einhergehend spricht man auch von ››Punkverrat‹‹. Es wird den Musikern vorgeworfen mit steigendem Erfolg ihre Ideale zu verraten und dem eigentlichen ››Spirit of Punk‹‹ untreu zu werden. ZSK bringen diese Vorwürfe in ihrem Song ››Punkverrat‹‹ auf den Punkt.

››Ist das noch cool ist das noch Punk?
Nein, nein, nein
Ist das noch hart ist das noch viel
Nein vielen Dank
Ist das noch cool ist das noch Punk?
Nein, nein, nein
Ihr fahrt das Geld doch mit ner Schubkarre zur Bank‹‹ (ZSK. 2013)

Wiederum die Band KMPFSPRT dreht den Spieß um und spricht aus, was sie alles nicht machen wollen, was das Plattenlabel doch so gern hätte.

››STOPP!
Alles auf Anfang
So kriegt ihr nie ‘nen Deal
Dieses Rumgeschrei’
Können wir nie im Radio spielen
Ein bisschen mehr wie Bendzko
Ein bisschen weniger Punk
Schmeißt den Sänger raus
Die Chartplatzierung gibt’s zum Dank […]

Es muss verkaufbar sein
Es muss austauschbar sein
Es muss für alle sein
Und schrei nicht in das Break hinein!

Kein Hit, kein Pop, kein Bock!
Ich hör’ die Single nicht!
Hey! Ist doch alles Plastik
Wen kümmert das Gewicht? ‹‹ (KMPFSPRT. 2016)

Es ist nicht so, als wären diese Vorwürfe erst im aktuellen Diskurs entstanden. Bereits 1978 kritisierten Crass in ihrem Song ››Punk is dead‹‹ ihre Kollegen von The Clash.

››CBS promote the Clash,
But it ain’t for revolution, it’s just for cash.
Punk became a fashion just like hippy used to be
And it ain’t got a thing to do with you or me. ‹‹ (Crass. 1978)

Der Vorteil für heutige Bands ist es, das sie nicht zwangsweise zu einem Major-Label gehen müssen, welches vielleicht ihren Stil verändern möchte, um sie massentauglich zu machen. Es gibt ausreichend und auch überall Labels, die ihre Künstler sein lassen, wie sie wollen und dadurch auch gute Punk Musik produzieren. So zum Beispiel Uncle M, Hamburg Records oder Fat Wreck Chords und viele Weitere.

››Betrachtet man allerdings den Kulturkreis des Punkrocks, wird sowohl von Punkbands als auch von Fanzines und generell mit Punkrock befassten Kommentatoren seit jeher eine kommerzielle Ausrichtung im Punkrock als verwerflich kritisiert. Diese Kritik richtet sich aufgrund ihrer zentralen Stellung als Gesprächsthema und inhaltgebende Instanz besonders gegen Bands/Musiker – aber genauso auch gegen Plattenlabels, Konzertveranstalter oder Händler von Tonträgern und anderen Musikprodukten.‹‹ (Jakopin. 2013: S. 155).

Es scheint fast als wäre der Kommerz lediglich ein Vorwurf ohne bodenständige Begründung dahinter. Womöglich erschließt er sich aus der Tatsache, dass zu Beginn der ersten Punk-Welle, Produzenten und Konsumenten noch gleichrangig waren (Müller-Bachmann. 2002: S. 73). Dies hat sich im Laufe der Zeit allerdings geändert und dennoch: Punk-Bands sind meist nicht gezielt dem Erfolg hinterher, er kommt eher automatisch. Und wer Geld verdient, der gibt auch etwas an die Gesellschaft zurück, sei es durch mehr produzierte Musik oder gemeinnützige Aktionen. Hier wären zum Beispiel Viva Con Agua oder Kein Bock auf Nazis zu nennen, welche viele Punk-Musiker als Unterstützer haben. ››Alle Gruppen haben gemein, dass Auftreten, Erschaffen und Aufnehmen die wichtigsten Bedürfnisse sind. […] Letztlich bleibt in der Diskussion zwischen Fans und Aktiven im Punk-Kulturkreis der Blick auf die Verhältnismäßigkeit und Integrität ein wesentliches Gestaltungsmerkmal. ‹‹ (Jakopin. 2013: S. 166). Betrachtet man nun zum Beispiel auch den Modestil des Punks, so wurde dieser, kurz nach seinem Erscheinen bereits kommerzialisiert. Punk Mode war bereits Ende der 1970er in Modehäusern vertreten und ist dies bis heute noch.  ››Punk wurde Mode‹‹! (Müller-Bachmann. 2002. S. 69)

Jakopin bringt eine Analyse, basierend auf einer Umfrage bei Musikern, hervor, bei der sich herausstellt, dass es für die Künstler immer noch am Wichtigsten ist Musik zu machen und auf der Bühne zu stehen. Das Geld verdienen kommt erst wesentlich später in den Prioritäten. ››Insgesamt fällt im Vergleich der Punkbands zu Metal- und Rockbands auf, dass die Unterschiede der Relevanz der grundlegenden musikbezogenen Aktivitäten zu den am höchsten bewerteten Merkmalen deutlich geringer sind, d.h. Punkbands auch dem Musik machen an sich und dem Austausch untereinander einen vergleichsweise hohen persönlichen Wert ziehen.‹‹ (Jakopin. 2013: S. 164)

Doch hat sich die Musik des Punks an sich verändert, nur weil auf einmal Platten verkauft werden? Ist die Essenz des Punks nur den Bands vorbehalten, die keiner kennt?

 

Betrachten wir beispielhaft im Vergleich zwei der erfolgreichsten Punk-Songs aus unterschiedlichen Generationen. Zum einen ››Anarchy in the U.K.‹‹ von den Sex Pistols (1977) und zum anderen Green Day’s ››American Idiot‹‹ (2004). ››Anarchy in the U.K.‹‹ gilt als der erste richtige Punk Song und hatte als dieser bereits kommerziellen Erfolg (Müller-Bachmann. 2002: S. 68), während ››American Idiot‹‹ wohl der mit erfolgreichste Punksong seither ist. ››American Idiot‹‹ war geschlagene 9 Wochen in den deutschen Single-Charts und 16 Wochen lang in den UK-Charts. Das gleichnamige Album dazu erreichte so gut wie überall mehrfachen Platin-Status. Der Song hat generationenübergreifend jeden Menschen irgendwie erreicht.

 

Green Day – American Idiot (2004):

Don′t wanna be an American idiot
Don’t want a nation under the new media
And can you hear the sound of hysteria?
The subliminal mind-fuck America

Welcome to a new kind of tension
All across the alien nation
Where everything isn′t meant to be okay
Television dreams of tomorrow
We are not the ones who are meant to follow
For that’s enough to argue

Well, maybe I’m the faggot, America
I′m not a part of a redneck agenda
Now everybody do the propaganda
And sing along in the age of paranoia

Welcome to a new kind of tension
All across the alien nation
Where everything isn′t meant to be okay
Television dreams of tomorrow
We’re not the ones who are meant to follow
For that′s enough to argue

Don’t wanna be an American idiot
One nation controlled by the media
Information age of hysteria
It′s calling out to idiot America

Welcome to a new kind of tension
All across the alien nation
Where everything isn’t meant to be okay
Television dreams of tomorrow
We are not the ones who are meant to follow
For that′s enough to argue

 

Sex Pistols – Anarchy in the U.K. (1977):

Right now
I am an antichrist
And I am an anarchist
Don’t know what I want
But I know how to get it
I want to destroy passerby

 

‘Cause I wanna be anarchy
No dogsbody

 

Anarchy for the U.K.
It’s coming sometime and maybe
I give a wrong time, stop a traffic line
Your future dream is a shopping scheme

 

‘Cause I, I wanna be anarchy
In the city

 

How many ways to get what you want
I use the best, I use the rest
I use the NME
I use anarchy

 

‘Cause I wanna be anarchy
It’s the only way to be

 

Is this the MPLA?
Or is this the UDA?
Or is this the IRA?
I thought it was the UK
Or just another country
Another council tenancy

 

I wanna be anarchy
And I wanna be anarchy
Know what I mean?
And I want to be an anarchist
I get pissed, destroy

 

Direkt auf den ersten Blick sieht man die Gemeinsamkeit, dass bereits im Titel Kritik am jeweiligen Heimatland der Künstler geübt wird. Die Kritik am aktuellen Zeitgeschehen ist ein zentrales Thema in der Punk Musik. ››Weitere thematische Schwerpunkte in den Texten sind eher kritische Bewertungen des Hier und Jetzt. Ungeglättet unter z.T. Ausnutzung des rüdesten zur Verfügung stehenden Vokabulars wird z.B. gegen Politiker, Krieg und Militarismus ins Feld gezogen. […] Mit dem appellativen Charakter der meisten Songtexte findet die in der Punk umgebenden Welt plakativ eingesetzte Sprache ihre Entsprechung – die ››Schlagzeilen-Lyrik‹‹ der Punks greift den Schwung und die Aggressivität der Texter aus Werbung und Journalismus auf, um diese aber weder für die Darstellung von Sensationen und Liebeserklärungen oder Hymnen an die Schönheit der Welt zu verwenden, sondern um über das angemessen singen zu können, was bisher in dieser Vehemenz und Dichte in der populären Musik unthematisiert bleibt.‹‹ (Lau. 1992: S. 63).

Damit kommen wir gleich zum nächsten Thema – dem Inhalt der Songs. Green Day teilen direkt in den ersten Teilen mit was sie nicht sein wollen: ››Don’t wanna be an American idiot! Don’t want a nation under the new media.‹‹ Währenddessen sagen die Sex Pistols direkt was sie sind: ››I am an Anti-Christ.‹‹ Es wird einfach direkt aufgezeigt wogegen man ist und was man kritisiert. Interessant hierbei ist, dass beide Bands ››an‹‹ als unbestimmten Artikel verwenden, statt eines bestimmten Artikels. Dadurch beziehen sie sich nicht selbst allein auf diese Aussage, sondern stellen sich damit gleich in einer Gesellschaft von mehreren, die der gleichen Gesinnung sind.

Eine weitere Parallele lässt sich ziehen bei den Zeilen ››Television dreams of tomorrow‹‹ (Green Day. 2004) und ››Your future dream is a shopping scheme‹‹ (Sex Pistols. 1977). Hier werden die Träume der Gesellschaft und der Massenmedien in die Kritik genommen. Green Day greifen dieses nochmal auf mit ››One nation controlled by the media‹‹ um ihre Aussage zu spezifizieren.

Insgesamt betrachtet richten sich die Texte gegen die jeweils vorherrschende Regierung. Bei Green Day geht es um die amerikanische Regierung, wie auch die dauerhafte Präsenz und Beeinflussung durch die Medien. Die Sex Pistols richten sich gegen die britische Regierung und gleichfalls gegen militante, radikale Volksbewegungen. Gleichsam nennen beide Bands auch ihre jeweilige Lösung für das angeprangerte Problem. Green Day beziehen Stellung dazu mit der Zeile: ››We’re not the ones who are meant to follow‹‹, während die Sex Pistols direkt eine Änderung des Systems anstreben mit: ››I use anarchy‹‹.

Somit lässt sich ganz klar feststellen, dass der Inhalt der Punk-Songs gleich geblieben ist. Es wird sich kritisch zu aktuellen Problematiken geäußert und dabei auch eine teils radikale Stellung bezogen. Dadurch liegt den Songs bis heute eine gewisse Provokanz inne.

Punk-Musik setzt sich selbst voraus, dass ein jeder sie produzieren könnte, ohne direkt einen Plattenvertrag zu unterschreiben oder Musikvirtuose sein zu müssen. ››Punk kennt keinen Instrumentalisten oder Vocalisten, dem über einen längeren Zeitraum eine außerordentlich virtuose Beherrschung seines Instruments bescheinigt wird.‹‹ (Lau. 1992: S. 59) So ergab sich schnell das Sprichwort, dass man für Punkrock lediglich 3 Akkorde benötige und dem ist auch so (Lau. 1992: S. 59). Dieser Grundsatz wird oft besungen, wie ebenfalls ausgelebt. So auch in diesen zwei beispielhaften Songs.

Musikalisch betrachtet ist ››Anarchy in the U.K.‹‹ ein klassischer 3-Chord-Song in C-F-Em mit kleinen Ausstechern zu G und Dm. Er wirkt recht simpel, dadurch dass die Akkordfolge nicht verändert wird, doch gerade das macht Punk auch aus, ebenso wie die schlechte Aufnahmequalität und der raue Gesang.

››American Idiot‹‹ wirkt zuerst wesentlich aufwendiger, doch betrachtet man es genauer, ist es auch nur ein 3-Chord-Song. Das eingängige Riff sind A-D-G-D-A-G, mit Abweichungen zu E und Bb. Allein der Wechsel der Akkordfolge und die bessere Aufnahmequalität machen es hier scheinbar massentauglicher denn auch der Gesang ist sehr basic und rüpelhaft gehalten.

Wirklich wichtig für einen Punk-Song ist sein Liedcharakter. Er muss einprägsam und mitsingbar sein (Lau. 1992: S. 61). Dabei sollte natürlich noch eine gewisse Botschaft dahinter stecken. Dies trifft auf beide genannten Songs eindeutig zu. Besonders die Headlines lassen sich prima mitsingen oder schreien.

Anhand der genannten Beispiele ››Anarchy in the U.K.‹‹ von den Sex Pistols und ››American Idiot‹‹ von Green Day lässt sich erkennen, dass sich Punk in seinen Grundzügen nicht elementar verändert hat. Es sind immer noch 3 Akkorde und es ist immer noch eine Rebellion gegen das Establishment, welche Kritik am aktuellen System und Geschehen äußert.

››Die Punkszene nimmt zwar immer wieder neue Impulse auf und interpretiert sie neu, ist aber im Kern strukturkonservativ. Neuere Ideen und Einflüsse beispielsweise aus anderen Subkulturen werden eher im Bestehenden verwertet anstatt die ganze Szene zu revolutionieren. […] Es ist zu erwarten, dass sich diese Entwicklung fortsetzt, die nun schon so lange Bestand hat: Der Nachwuchs orientiert sich an den alten Sachen und bringt einen neuen Stil ein. Punk ist im ständigen Wandel aber dennoch seit 35 Jahren unverkennbar und wird es voraussichtlich auch bleiben.‹‹ (Meiner, Seeliger. 2013: S. 44-45)

Iggy Pop hat mit seiner vierteiligen Serie ››The True Story of Punk‹‹ die gesamte Entwicklung des Punk von den Anfängen in den 1970ern bis heute dargestellt. Im letzten Teil ››The True Story of Punk: Das Erbe‹‹ kommen auch einige, zum Teil bereits genannte, Musiker zu Wort, zum Beispiel Billie Joe Armstrong (Green Day), Fat Mike (NOFX) und Noodles (The Offspring). Sie alle gehören kommerziell erfolgreichen Punkbands an und zeigen eindeutig auf wie viel Punk in ihren Bands und deren Musik noch steckt.

Ihre Karrieren haben sie sich im DIY-Charakter aufgebaut, mit eigenen Festivals, Tonstudios oder Labels, und halten an diesem Grundsatz bis heute fest. Daraus sind nicht nur Stadien-füllende Bands entstanden sondern auch namenhafte Labels wie zum Beispiel Epitaph Records, gegründet von Bad Religion Gitarrist Brett Gurewitz. Kevin Lyman (Gründer der Vans Warped Tour) wurde oft vorgeworfen, er habe mit dieser großen Tour Punk verraten. Seine Antwort darauf lautet: ››Nein, ich bringe ihn unter die Leute, weil ich es für wichtig hielt. Diese Kids müssen doch gehört werden. Man schimpfte uns Sell-Out, weil wir mit etwas Geld verdienen was wir lieben. Es wird immer die 10% geben, die dich für egal was du tust hassen. Aber 90% schätzen es und waren froh darum.‹‹

Die Musiker sprechen von Entwicklung und bleiben doch bei den gleichen Werten, die Punk schon in seiner Anfangszeit hatte. So sagt Dave Grohl (ehem. Schlagzeuger von Nirvana): ››Das man in einer Band sein konnte ohne ein Virtuose wie Eddie van Halen oder Beethoven sein zu müssen. Diese Leidenschaft für Musik. Das Schwitzen, bluten und rumschreien auf der Bühne zu mögen.‹‹

Fat Mike (NOFX) spricht davon wie er Green Day in den 1990ern auf Hinterhof-Partys spielen gesehen hat: ››Die Bands die Erfolg hatten, mussten sich das hart erarbeiten. […] Green Day waren keine Sell-Outs, keine dieser Bands. Sie spielten ihre Musik und die kam eben super an. Das hat nichts mit Sell-Out zu tun. Sell-Out ist, wenn du deinen Musikstil änderst um anderen vielleicht zu gefallen.‹‹

Sogar Alt-Punker Marky Ramone (Schlagzeuger von The Ramones 1978 – 1983 und 1987 – 1996) spricht davon, dass Green Day einen unverkennbaren Sound haben und Jesse Malin (Sänger und Gitarrist von Heart Attack) sagt dazu: ››Green Day haben es geschafft viele Leute zu erreichen, sind sich aber treu geblieben.‹‹

Billie Joe Armstrong (Green Day) redet darüber wie auf einmal ganz plötzlich der Erfolg kam und sie gar nicht Schritt halten konnten. ››Es war schon hart. Die Bay Area ist sehr politisch. Und das wir zu einem Major Label wechselten war wie Gotteslästerung.‹‹ Er führt weiter aus: ››Ein roter Faden zieht sich durch meine Songs: Angst und ein Gefühl der Verlorenheit, aber genau das auch zu lieben.‹‹ Abschließend verrät er noch: ››Punk war das bestgehütete Geheimnis der Welt, bis wir es ausgeplaudert haben.‹‹

Sylvain Sylvain (New York Dolls) bezieht zuletzt noch einmal Stellung und sagt: ››Wir mussten damals tun, was wir tun mussten und ich denke dasselbe müsst ihr jetzt auch.‹‹ Weiter führt Iggy Pop (The Stooges) aus: ››Deshalb konnte Punk all die Jahre weiter leben. Es wird immer einen kleinen Punk geben, der sich sagt: Hey, das kann ich auch!‹‹ Wenn Iggy Pop diese Bands als seine Nachfolger anerkennt – wer würde dann schon dem Godfather of Punk widersprechen?

Wenn sich unsere gesamte Gesellschaft im stetigen Wandel befindet, warum kann es dann der Punk nicht auch ebenso tun? Schließlich verändert sich der einzelne Mensch auch durch die Zeit hinweg und bleibt sich doch treu. Daher kann man ganz klar sagen, dass sich Punk zwar stark verändert hat und heute wohl auch andere, oder eher zusätzliche, Grundsätze hat, als es in den 1970ern der Fall war, jedoch hat er sich nicht verkauft. Heutzutage gibt es viele Labels die ihre Künstler genau so sein lassen, wie sie auch sein möchten. Dadurch hat Punk die Möglichkeit eine breitere Masse zu erreichen und wird nicht mehr dazu gezwungen im Underground zu bleiben.

 

››Letztlich spiegelt sich das Ressentiment gegen das ››Geld verdienen‹‹ auch in der nicht selten zu findenden Ansicht, dass eine Band umso besser ist, je unbekannter sie ist (vorausgesetzt natürlich, dass die Musik einem sehr gut gefällt) – sie verliert an individuellem Wert, je mehr Personen sie gut finden. Umso mehr noch, je weiter die ››neuen Fans‹‹ von der eigenen Wertewelt entfernt sind – also beispielsweise nicht mehr in das Wertebild des ››Punks‹‹ oder ››Punkrockers‹‹ hineinpassen. Die Band oder auch Veröffentlichung (LP, CD, Single) wandelt sich so von einer ››Perle‹‹ in ein Massenprodukt, dass jeder kennt oder haben kann und bei dem es ››leicht‹‹ ist, es gut zu finden oder zu besitzen.‹‹ (Jakopin. 2013: S. 166)

 

Man kann, auf das Musikalische bezogen, eindeutig sagen, dass der Erfolg keinen Einfluss darauf hat ob eine Band noch Punk ist oder eben nicht. Viele Bands, wie zum Beispiel Green Day oder die Ärzte, haben bewiesen, dass man auch mit 3 Akkorden ein Stadium füllen kann. Hinzu kommt, dass auch diese erfolgreichen Punk-Musiker von ihrer Einstellung her auf dem Boden geblieben sind und sich weiterhin für die gleichen Dinge einsetzen, wie sie es bereits getan haben, als sie noch in kleinen Clubs gespielt haben.

Punk hat sich entwickelt und ist vielleicht ein bisschen erwachsen geworden. Doch hat er sich nicht verraten und verkauft. Die Werte des Punks aus den 1970er Jahren finden sich auch bei aktuellen Bands und deren Songs wieder. Dies ist vollkommen unabhängig davon, wie erfolgreich diese Künstler sind. Punk ist und bleibt eine Rebellion. Punk spricht aus was ihm nicht passt und prangert Missstände an. Punk hat sich bis heute seinen DIY-Charakter erhalten und ist für jedermann zugänglich. Kathleen Hanna (Sängerin von Bikini Kill) sagt in ››The True Story of Punk: Das Erbe‹‹: ››Punk wird sterben, wenn er sich nicht ändert. […] Das ist nicht Punk, sondern das was Kids heute machen.‹‹ Somit kann man zu dem eindeutigen Schluss kommen: Punk’s not dead!

Um es abschließend mit den Worten der recht stark kritisierten Punkband Adam Angst zu sagen:

››Das ist Punk. Authentisch, ohne Regeln, einfach Punk.
Und immer leicht daneben, Punk.
Unberechenbar und provokant.
Alles scheißegal, Hauptsache Punk
Reck die Finger in die Luft und ruf mal Punk.
Was war denn jetzt das Thema? Punk.
Alles scheißegal. ‹‹ (Adam Angst. 2018)

 

Literaturangaben:

Anonym. ››The Offspring‹‹. In: Official Charts. The Official UK Charts Company 2021. https://www.officialcharts.com/artist/29597/offspring/ (Zugriff: 15.12.2021)

Anonym. ››The Offspring‹‹. In: Offizielle Deutsche Charts. 2021 GfK Entertainment. https://www.offiziellecharts.de/suche?artist_search=The+Offspring&do_search=do (Zugriff: 15.12.2021)

Anonym. ››The Offspring‹‹. In: Billboard. 2021 Billboard Media, LLC.  https://www.billboard.com/artist/the-offspring/chart-history/ (Zugriff: 15.12.2021)

Anonym. ››Green Day‹‹. In: Offizielle Deutsche Charts. 2021 GfK Entertainment. https://www.offiziellecharts.de/suche?artist_search=Green%20Day&do_search=do (Zugriff: 27.12.2021)

Anonym. ››Green Day‹‹. In: Official Charts. The Official UK Charts Company 2021. https://www.officialcharts.com/artist/17908/green-day/ (Zugriff: 27.12.2021)

Anonym. ››Single Trending Charts‹‹. In: MTV.de. Viacom International Inc2021. https://www.mtv.de/info/kj3m94/single-trending-charts (Zugriff: 19.11.2021)

Offizielles Profil von Viva Con Agua de Sankt Pauli. Auf Instagram. https://www.instagram.com/vivaconagua/ (Zugriff: 27.12.2021)

Anonym: Kein Bock auf Nazis. Über Uns. https://www.keinbockaufnazis.de/info (Zugriff: 27.12.2021)

Pop, Iggy und Varvatos, John und Murray, Derik (2019). The True Story of Punk: Das Erbe. USA. Network Entertainment und MGM Television. Version vom 16.01.2021. https://www.zdf.de/dokumentation/zdfinfo-doku/the-true-story-of-punk-das-erbe-100.html (Zugriff: 28.12.2021)

Lau, Thomas (1992). Die heiligen Narren – Punk 1976 – 1986. Berlin; New York: de Gruyter

Meiner, Philipp und Seeliger, Martin (2013). ››Punk in Deutschland. Sozial- und kulturwissenschaftliche Perspektiven. Eine Einleitung‹‹. In: Punk in Deutschland. Sozial- und kulturwissenschaftliche Perspektiven. Hg. Von Philipp Meinert, Martin Seeliger. Bielefeld: transcript Verlag. S. 9-55

Jakopin, Nejc M. (2013). ››Vereinbarkeit von Unternehmertum und DIY-Ethik im Punkrock‹‹. In: Punk in Deutschland. Sozial- und kulturwissenschaftliche Perspektiven. Hg. Von Philipp Meinert, Martin Seeliger. Bielefeld: transcript Verlag. S.155-168

Behr, Johann (2007). Identitätssuche in jugendlichen Subkulturen. Skinheads, Punks und Gothiks. Saarbrücken: VDM Verlag

Müller-Bachmann, Eckart (2002). ››Jugendkultur Revisited. Musik- und stilbezogene Vergemeinschaftsungsformen (Post-)Adoleszenter im Modernisierungskontext‹‹. In: Jugendsoziologie. Hg. Von Griese, Hartmut M. (=Band 3) Chemnitz. LIT

Die Ärzte (1998). ››Punk ist‹‹ auf 13. Hot Action Records 557 160 – 2 18

Green Day (2004). ››American Idiot‹‹ auf American Idiot. Reprise Records 9362-48777-2

Sex Pistols (1977). ››Anarchy in the U.K.‹‹ auf Never mind the Bollocks Here’s the Sex Pistols. Virgin V 2086

ZSK (2013). ››Punkverrat‹‹ auf Herz für die Sache. People Like You Records 468277-1

KMPFSPRT (2016). ››Ich hör die Single nicht‹‹ auf Intervention. People Like You Records 88985304701

Crass (1978). ››Punk is dead‹‹ auf The Feeding of the Five Thousand. Small Wonder Records WEENY 2

Adam Angst (2018). ››Punk‹‹ auf Neintology. Grand Hotel van Cleef GHVC131