Autokonzert oder Sondaschule Open Air?

Sondaschule – Autokino Oberhausen – Justin Herschfeld (58)
Photocredit
Justin Herschfeld

RIP Festivalsommer

Wir vermissen unseren Festivalsommer, keine Frage. Doch von Konzerten unter freiem Himmel, Circlepits und ausgelassener Stimmung ohne Sicherheitsabstand kann man derzeit nur träumen. Oder? Wenn man sich das am Freitag, den 05.07.2020 stattfindende Konzert von Sondaschule in der Autoarena Oberhausen so anschaut, könnte man fast einen anderen Eindruck bekommen. Was als Autokonzert angekündigt wurde, entwickelte sich rasch zu etwas, was sich stark mach einem Open Air anfühlte.

Wenn Erwartungen über den Zaun gebrochen werden

Einlass um 19 Uhr. Unser Fotograf Justin und ich sind pünktlich vor Ort und finden uns direkt in einer schier endlos langen Warteschlange vor. Während ich schon gestresst auf das Lenkrad trommel, unterhält Justin mich und erzählt von seinen letzten Konzerten. Doch lange braucht er gar nicht den Alleinunterhalter spielen, es geht erstaunlich schnell voran und nach schon wenigen Minuten werden unsere Tickets gescannt und wir zielgenau in die für uns auserkorene Parklücke gewunken. Das Ordnungspersonal hat zu diesem Zeitpunkt definitiv den Überblick und ist gut organisiert. Pluspunkt dafür!
Unser Platz ist richtig gut. Wir stehen relativ weit vorne leicht schräg zur Bühne und haben eine gute Sicht auf eben diese und die Leinwände. Justin ist glücklich, er hat freie Sicht zum Fotografieren und legt auch direkt los. Aber hieß es nicht, man dürfe sein Auto nur zum Toilettengang und mit Mund-Nasen-Schutz verlassen? Kaum wer um uns herum sitzt im Auto, stattdessen haben sich die Leute um ihre fahrbaren Untersätze herum versammelt, trinken Bier, unterhalten sich angeregt, halten jedoch Abstand. Es ist ein ungewohnt seltsamer Anblick, aber zugegeben eine angenehme Abwechslung. Auch wir steigen aus, bleiben bei unserem Auto, schauen uns um. Dixiklos stehen am einen Ende des Geländes, für das leibliche Wohl sorgen Verkäufer mit kleinen Bauchläden. Merchendise wird aus Bollerwagen heraus verkauft, Ordner laufen durch die Reihen, aber wieder trägt kaum wer eine Maske. Immerhin halten nach wie vor alle Abstand.

Einmal Circlepit zum mitnehmenfahren bitte

21 Uhr, Sondaschule betreten die Bühne. Die Stimmung ist ausgelassen, begeisterter Applaus schallt durch die Reihen, erste Sprechchöre erheben sich. Es ist, als hätte jeder der Anwesenden Entzugserscheinungen gehabt und könnte nun endlich wieder sein Verlangen nach Liveshows befriedigen. Man sagt ja nicht umsonst, Musik ist wie eine Droge. Eine Woge der guten Laune und des puren Glücks geht durch die Reihen, während Sondaschule ihren ersten Song anstimmen. Während Justin sich im Fotograben austobt, tanze ich hinter meinem Auto herum und sauge die Eindrücke auf wie ein Schwamm. Unglaublich, wie mir das gefehlt hat.
Und ja, ich stehe hinter meinem Auto. Alleine, darauf bedacht, Abstand zu halten, aber eben nicht in der Karre. Warum? Weil scheinbar niemand es für nötig hält, sich in sein Auto zu setzen und das Ordnungspersonal die Lage offenbar als okay betrachtet. Auch den Jungs von Sondaschule fällt die Ausgelassenheit auf. Sie sprechen das Thema zwischen zwei Songs kurz an, genießen den Anblick der Gesichter vorher Bühne offenbar und fordern dazu auf, den Abend zu genießen. Zitat: „Macht, was ihr wollt!“ Ob man das für gut erwachten sollte, sei dahingestellt – die Band scheint voll in ihrem Element und geht auf der Bühne zu einer Mischung aus alten und gerade neu erschienenen Songs ab. Die Menge feiert ausgelassen.
Als Justin aus dem Fotograben kommt, schaut er aus, als wäre er gerade direkt aus einem Pit gekraxelt . Es ist voll vorne, berichtet er, sehr voll. Immerhin werde im Graben Masken getragen, bis auf ein oder zwei Ausnahmen. Warum da das Ordnungspersonal nichts sagt, frage ich mich kurz, verliere mich dann aber wieder in der Musik.
Sondaschule geben alles. Sie rocken, feiern, liefern beste Stimmung, zelebrieren den heutigen Abend. Das Publikum ist ganz bei ihnen. Aufgedrehte Autoradios, die Boxen am Bühnenrand und die laut mitsingende und -tanzende Menge erfüllen den Parkplatz der Autoarena, ein Circlepit aus Autos, der durch die Reihen fährt, ist eines der Highlights des Abends und zeugt von einem lang vermissten Gefühl von Freiheit, Freude und regelrechter Schwerelosigkeit. Ist es jemals anders gewesen?

Feuerwerk, Bengalos und Erbrochenes

Bis 23 Uhr geht die Party. Inzwischen ist es dunkel geworden, der abnehmende Mond steht direkt neben der Bühne am Himmel, die Warnblinkanlagen tun ihr Bestes. Wir wollen Stimmung, Sondaschule liefert sie. Etwas zu viel vielleicht? Der bereits erwähnte Abstand wird von den meisten Besuchern längst nicht mehr eingehalten, Masken sind nach wie vor Mangelware, die Ordner patrouillieren durch die Reihen der parkenden Autos, scheinen sich aber wie der Rest der Anwesenden an der ausgelassenen Sause zu erfreuen. Eingreifen? Nein. Dafür wäre das ohnehin zu spät. Viele Besucher sind stark betrunken, Justin und mir wurde bereits vor die Füße erbrochen. Ist die Situation bereits eskaliert? In Zeiten von Corona – ja! Das muss man leider anstandslos zugeben. Ist die Menge dennoch friedlich? Definitiv! Und das ist das wunderbare an dem Abend. Während Sondaschule als letzten Song des Abends Mülheim an der Ruhr anstimmen, sind die Leute direkt vor der Bühne in einer Traube am tanzen. Wir stehen nach wie vor am Auto, betrachten fasziniert das Spektakel, das von einem Feuerwerk über der Bühne abgerundet wird. Der Applaus des Publikums scheint partout nicht verebben zu wollen, selbst Bengalofeuer werden hinter dem Gelände gezündet. Und wir stehen da, am Ende eines ereignisreichen Abends, gefangen zwischen Faszination, unbändiger Freude, Genuss, dem Gefühl von Leichtigkeit und dem Wissen, dass das, was heute Abend passiert ist, so nicht hätte stattfinden dürfen.
Auf dem Heimweg unterhalten wir uns. Natürlich. Ob das Ganze wohl ein Nachspiel für die Betreiber des Konzerts haben wird, fragen wir uns. Justin ist sich sicher: Ja. Denn auch, wenn der Abend einzigartig und wirklich wunderbar war, ein mulmiges Gefühl bleibt.

Der Abend in Bildern

Wie sich der Konzert und der Abend konkret gestaltete, hat unser Justin euch fotografisch an dieser Stelle festgehalten.